jugendforscht

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Eigentlich sollten alle Schulen Förderschulen heißen. Was sollte man schon anderes in Schulen tun, als ihre Besucher zu fördern? Aber wer will schon sein Kind auf eine Förderschule schicken? Seltsamerweise hat der Förderbegriff in der Pädagogik eine ambivalente Bedeutung bekommen. Das kann wirklich nur Pädagog/innen gelingen: Einen zutiefst positiven Begriff in sein Gegenteil zu verkehren. Wenn Lehrer während des Elternsprechtages von Förderunterricht sprechen sieht man den eigenen Sprössling eher bei der 5 als bei einer 1. Dabei wäre ebenso denkbar für die überdurchschnittlich begabten SchülerInnen Förderunterricht anzubieten. Das ist sicherlich in Einzelfällen schon so, aber leider nicht die Regel.

Im Zusammenhang mit Begabtenförderung liegt der Fall schon wieder anders. Warum gibt es so wenig Nachhilfeangebote für Kinder, die jenseits des Durchschnitts sind. Wer hat so gesehen keine Förderung nötig? Wir definieren Förderung häufig defizitär, wie überhaupt so vieles, was unsere Fähigkeiten angeht. Wir fördern weniger was wir schon können um besser zu werden, sondern eher das, was wir nicht können um zumindest Mittelmaß zu sein, verbunden mit viel Angst sich zu spezialisieren. Begabtenförderung wird eher in die Schublade der Eliten geschoben. Wir fördern eine Gesellschaft des Mittelmaß, wobei die Spitzen abgeschnitten werden in dem sie nicht gefördert werden. Wer in der Schule eine 1 hat kann sich zurücklehnen, mehr kann er/sie eh nicht erreichen. Solche Begabungen zu fördern ist sicherlich nicht nur eine Frage schlecht ausgestatteter Schulen, sondern auch Ausdruck eines unreflektierten Umgangs mit einem Bildungssystem und eines sehr eingeengten Verständis der Aufgaben der PädagogInnen selbst.

Dieser Artikel ist schon etwas länger in Arbeit. Gestern laß ich allerdings einen ganz furchtbaren Blogeintrag in wissenslogs.de mit dem Titel „Welche Schulform ist die richtige?“ von Ute Gerhardt. Der Artikel und die sich ihm anschließenden Kommentare haben sehr viel mit dem von mir diskutierten Förderbegriff zu tun. Deshalb habe ich den Artikel um folgende Zeilen erweitert:

Die vermeintliche (Chancen-) Gleichheit aller Schüler an Gemeinschafts- oder Gesamtschulen ist illusorisches Wunschdenken, um nicht zu sagen: Sozialromantik. Die Binnendifferenzierung zwischen den Schülern macht die Ungerechtigkeit zwar nach außen hin unsichtbar, führt aber insgesamt in jeder Hinsicht zu mehr Problemen als das bisherige dreigliedrige Schulsystem.

Es wird noch schräger:

Denn Unterricht, in dem die stärkeren den schwächeren Schülern quasi Nachhilfe geben oder immer wieder auf sie “warten” müssen, hat zur Folge, dass die Interessen der Stärkeren denen der Schwächeren regelmäßig untergeordnet werden. Und das offensichtlich auch noch ohne den für die Schwächeren avisierten Erfolg.

Ich persönlich kann dem 3-gliedrigen Schulsystem überhaupt nichts abgewinnen. Die Weichen für die späteren Chancen werden im Prinzip schon nach der Grundschule gestellt. Binnendifferenzierung hat auch nicht das Ziel Ungerechtigkeiten unsichtbar zu machen. Wahrscheinlich sind auch nicht Ungerechtigkeiten gemeint, sondern Ungleichheiten und die gilt es gerade herauszustellen. Meine einleitenden Worte haben das schon deutlich gemacht. In gute und schlechte Schüler/innen kann man nur unterscheiden, wenn Mittelmaß definiert ist. Beispiel: Sitzenbleiben. Warum muss ein Schüler ein ganzes Schuljahr wiederholen, nur weil er in 2 Fächern nicht die erforderlichen Leistungen erbringt? Warum muss eine Schülerin auf die Hauptschule, nur weil sie den Leistungsanforderungen eines Gymnasiums nicht standhalten kann. Wer sagt, dass das für den gesamten Fächerkanon gelten muss. Individualisierung heißt, jeder Mensch ist anders und ein Schulsystem muss dem Rechnung tragen können. D.h. eine Schule die zu allen Seiten offen ist, läßt am meisten Spielraum, spätere Entwicklungen zu berücksichtigen und jeden Einzelnen so gut es geht zu fördern.

Grundsätzlich halte ich den zitierten Artikel für total verfehlt, weil er die Frage nach der richtigen Schulform mit den Lernerfolgen der Schüler/innen verknüpft. Dafür ist weder eine Schulform, noch eine Schule verantwortlich, sondern ausschließlich engagierte Lehrer/innen aber auch Eltern. Nur weil mein Kind auf eine Gesamtschule, Realschule, Privatschule oder was auch immer geht, ist die Lernfreunde und die Lust Fragen zu entwerfen noch lange nicht implementiert. Dazu braucht es einen anregenden Lernraum und dazu gehört zweifellos die Unterschiedlichkeit von Menschen.