Die JIM Studie, die an dieser Stelle immer von mir annotiert wurde, habe ich aus unterschiedlichen Gründen dieses Jahr zur Seite gelegt. Die Studie stellt zwar eine Vergleichbarkeit über die Jahre hinweg her, ist aber nur bedingt geeignet, um der jugendlichen Mediennutzung auf die Spur zu bekommen. Dazu bedarf es qualitativer Interviews, um den Gewohnheiten und seinen Motivationen aufzuspüren.
Da die JIM Studie zu wenig überraschenden Ergebnissen kommt, will ich einen Blick in die DIVSI-Studie werfen.
Sie erschien im März 2014, ist aber etwas zeitloser angelegt, wenn man das bei diesem Themenfeld überhaupt sagen kann. Der Titel lautet: „DIVSI U25-Studie: Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der digitalen Welt“ Die große Altersspanne ist in diesem Fall wiederum ein Problem dieser Studie, die JIM Studie hat es mit der Auslagerung kindlicher Mediennutzung in die KIM Studie besser gelöst.
Dank des freundlichen Hinweises von Daniel Seitz im Vorfeld dieses Artikels, sei darauf hingewiesen, dass das „Deutsche Institut für Sicherheit und Vertrauen im Internet“ (DIVSI) eine Initiative der Deutsche Post AG ist. Ich schätze die Ergebnisse dennoch als sehr interessant für die Medienpädagog_innen da draußen ein:
„Allgemeinplätze, die häufig kaum auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft wurden, können irgendwann durch ständige Wiederholung zum vermeintlichen Fakt werden. Nicht immer erfahren die dadurch oft oberflächlich Bewerteten eine gerechte Würdigung ihres Verhaltens. Dieses Schicksal hat zum Gutteil auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der Bewertung ihres Umgangs mit dem Internet ereilt.“
Nachdem ich das lass, war ich zusätzlich motiviert die Studie bis zum Ende zu lesen. Es hat sich gelohnt.
Bildungsunterschiede sind auch mit Blick auf die Mediennutzung ein wichtiger Aspekt sozialer Ungleichheit.
Das wird auch beim Lesen der JIM Studie klar, denn auch hier wird zwischen den unterschiedlichen Schulformen unterschieden, aber es wurde nie so klar formuliert wie hier. Die Mediennutzung reproduziert Bildungsunterschiede, weil das Lesen mitunter einer der wichtigsten Fähigkeiten bei der Reise durch die digitale Informationswelt ist. Wer ein schlechtes Verhältnis zum geschriebenen Wort hat, wird auch die demokratisierende Macht des Netzes nicht nutzen können.
Die Studie unterscheidet 7 unterschiedliche Internet-Milieus:
- Unbekümmerte: Junge experimentierfreudige Internet-Nutzer ohne Berührungsängste. Kaum Sicherheitsbedenken und Risikobewusstsein.
- Pragmatische: Leistungsorientierte/zielstrebige junge Internet-Profis. Selbstverständlich digital vernetzt, konsum- und trendorientiert.
- Souveräne: Junge digitale Avantgarde mit ausgeprägter individualistischer Grundhaltung. Suche nach Unabhängigkeit in Denken und Handeln.
- Verantwortungsbedachte: Bodenständige, sicherheitsbedachte junge Internet-Nutzer. Moderates Netzwerk- und Konsumverhalten bei ausgeprägtem Risikobewusstsein.
- Skeptiker: Versiert-zielorientierte junge Internet-Nutzer mit kritischer Grundhaltung zu Vertrauen und Sicherheit im Internet.
- Verunsicherte: Überforderte und zurückhaltende junge Internet-Nutzer mit ausgeprägten, aber diffusen Sicherheitsbedenken und Analog-Affinität.
- Vorsichtige: Vorsichtig selektive junge Internet-Nutzer mit ausgeprägtem Risikobewusstsein und geringem Selbstzutrauen im Umgang mit Risiken.
Sicher ist die Milieu-Zuschreibung nicht immer hilfreich, aber es dimensioniert, den differenzierten Umgang aber auch Zugang zu digitalen Medien.
„Laptop? Nicht mehr so oft, weil ich ja jetzt mit dem Handy ins Internet kann.“ (9-13 Jahre, w)
Der Laptop scheint zwar eine Alternative, aber er scheint nichts besser zu können, als das, was das Smartphone nicht eh schon kann. Ganz im Gegenteil, um Videos anzuschauen, Musik zu hören oder zu kommunizieren, ist das Laptop dem Smartphone in nichts überlegen. Um längere Texte zu schreiben, strukturiert Informationen zu recherchieren und zu sammeln, um Medien zu gestalten, ist und bleibt das Laptop jedoch überlegen.
Im Vordergrund scheint der Zugang zum Internet zu stehen und nicht die spezifische Umsetzung einer Aufgabe.
„Dass man sich halt irgendwie nackig fühlt. Hört sich doof an, aber irgendwas fehlt einem die ganze Zeit, wo man was machen kann und dann bei Facebook reingehen kann. Also es ist schon irgendwie komisch, ohne Handy irgendwo hinzugehen.“ (14-17 Jahre, m)
und
„Wir alle sind jetzt fast jeden Tag bei Facebook drinnen und das ist ja schon eigentlich die Sucht, dass wir jeden Tag bei Facebook reingucken müssen. Das macht gleich süchtig.“ (14-17 Jahre, m)
Wenn man bedenkt, dass die JIM-Studie 2014 herausfindet, dass die FB-Nutzung zugunsten von Whats App stark abnehmend ist. Würde man Sucht ja weniger auf die Dienst Facebook beziehen, sondern auf (digitale) Kommunikation selbst. Die Tatsache, dass die Jugendlichen hier selbst von Sucht sprechen scheint auf das obengenannte Problem zu verweisen, dass die ständige Wiederholung eines Befundes irgendwann zum Faktum geriert. Und letztendlich von der Generation traurigerweise übernommen wird.
Jeden Tag bei Facebook zu sein als Sucht zu bezeichnen klingt nach Übernahme elterlicher Mutmaßungen und weniger nach Abgrenzung von einer älteren Generation, wie man es in diesem Alter eigentlich erwarten würde.
„Ich glaube, dass man später sehr viel Zeit damit verbringen wird. Jetzt machen es schon sehr viele und das entwickelt sich weiter. [!] Und dann glaube ich, sind die meisten eher drinnen und sitzen vor dem Computer und schreiben, skypen oder was weiß ich, statt rauszugehen.“ (9-13 Jahre, w)
Noch so eine Übernahme elterlicher Ängste, die jeder Realität widerspricht.
„Ein Kumpel hat seine Mutter angenommen,aber hat sie dann gleich erstmal auf die Blockierliste gesetzt, das macht ja auch keinen Sinn. Die muss ja einfach nicht alles sehen, was man da so liket.“(14-17Jahre,w)
Vielleicht ist es aber auch so, wie im obengenannten Zitat, dass elterliche Kontrolle Kinder erst medienkompetent macht. Es gibt offensichtlich wenig Motivation, sich gegen stattliche Überwachung zu wehren, aber wenn man es gegenüber den Eltern im Kleinen trainiert, wird es vielleicht auch mal eine Sensibilisierung gegenüber anderen Überwachern geben.
Eltern scheinen nur schlecht oder kaum begründen zu können, warum sie auf die Einhaltung bestimmter Regeln bei der Internet-Nutzung bestehen oder aufgrund welcher Risiken sie Warnungen aussprechen. Gespräche darüber, was in Sachen Internet Spaß macht und was es zu lernen lohnt, scheinen demgegenüber eher selten.
Deshalb funktioniert auch die elterliche Fürsorge in einem gewissen Alter nicht mehr besonders gut, ein ähnliches Problem hat die Netzgemeinde im Umgang mit der Bundesregierung und dem Internet.
Wer es mal für einen Vortrag braucht, hier noch ein weiteres nettes Zitat einer 14-17 Jährigen zu Freunden auf Facebook:
Was meinst du mit Freunden? Leute mit denen man bei Facebook schreibt, oder mit denen ich befreundet bin?Weil ich mein‘, man hat ja immer 100 Freunde. Entscheidend ist ja, was mache ich mit wem.“ (14-17 Jahre, w)
Die Studie hatte sich auch mit der allgegenwärtigen Überwachung nach Snowden auseinander gesetzt. Dabei wurde eine spezifische Definition von Privatheit herausgearbeitet, wie sie offensichtlich bei vielen Jugendlichen vorherrscht. Danach ist „…Privat, was Peinlich und Intim ist, also Informationen rund um Beziehungen, Gefühle wie Sorgen, Ängste oder Schwärmereien. Allgemeine personenbezogene Daten, wie z.B. Geburtsdatum, Wohnort oder Schule gelten als weniger problematisch. Es herrscht großes Unvevständnis, was diese Daten angeblich so wertvoll machen soll.“ (Seite 116)
Auch bei dem Begriff Öffentlichkeit haben die meisten Jugendlichen eher ihre Peergroup bzw. ihr Netzwerk vor Augen. Die Überwachung von Staaten und deren Geheimdiensten scheint ihnen dabei weniger in den Sinn zu kommen, weshalb die Affäre Snowden für sie auch eher eine theoretische Bedrohung ist.
Die Studie, so mein Fazit, ist lesenwert. Vor allem die vielen Zitate der Jugendlichen ermöglichen einen Interpretationsspielraum jenseits der erhobenen Ergebnisse über das Verhältnis der Jugendlichen zu digitalen Medien.
Hi Guido, Danke für die Zusammenfassung.
Diese Studie habe ich gar nicht auf dem Schirm gehabt – dabei ist DIVISI allein schon ein so unschlagbarer Institutsnahme, dass ich nicht nur inhaltlich etwas verpasst hätte 😉
Ich glaube, dir ist bei den Internet-Millieus ein Copy-Paste Fehler unterlaufen. Da sind die Unbekümmerten auf einmal wieder bei den Souveränen mit drin.
Die Kategoriesierung erinnert mich an die ARD/ZDF Online-Studien, die auch immer mal wieder Nutzertypen aufmachen.
Wie die Jugendlichen ihr Nutzerverhalten beschreiben, betont ja stark den Aspekt der (nicht durch Erwachsene gestörten) Kommunikation. Das hat auch Danah Boyd sehr eindrucksvoll in ihrer ebenfalls qualitativen Studie „It’s complicated“ beschrieben. Sie untersucht das Verhalten US-amerikanischer Teenager in Social Media. Was ich bei ihren Beobachtungen sehr interessant finde, ist, dass sie in Sozialen Medien einen Raum für Jugendliche ausmacht, in dem die Jugendlichen selbstbestimmt kommunizieren können – ohne Aufsicht durch Erwachsene. In den USA ist vielleicht noch stärker als hier ist es für Kinder und Jugendlichen sehr eingeschränkt möglich, sich öffentlich, aber ohne Aufsicht durch Erwachsene zu treffen. In dieser Hinsicht bietet Social Media einen gewissen Grad an (gefühlter) Autonomie. Gleichzeitig, so Boyd, bewegen sich Jugendliche in Social Media in einem Raum, in dem sich auch Erwachsene aufhalten, und erproben so auch das Verhalten in Erwachsenen-Welten. Das sind interessante Befunde, die weit über die übliche Schwarz/Weiß-Malerei hinaus gehen. Leider ist die Studie von Boyd noch vor dem Bekannt werden der staatlichen Überwachung erschienen und fokussiert nur auf den privaten Bereich.
Wahrscheinlich ist aber hier wie dort die staatliche Überwachungspraxis allenfalls eine abstrakte Größe – wie ja insgesamt Politik eher passiv erlitten wird, als dass Jugendliche (oder auch Erwachsene) hier ihre Handlungsspielräume erkennen und einfordern.
Klingt so, als wäre die DIVISI-Studie eine Steilvorlage für die Forderung nach mehr (netz)politischer Bildung. 😉
Danke für den Hinweis zum Copy ubd Paste Fehler. Ja qualitative Studien helfen im Moment eher weiter, die Nutzungsgewohnheiten zu verstehen. Wer wieviele Geräte wann nutzt ist dabei nicht besonders hilfreich.