netzpolitik.orgNetzpolitik und Politik, das ist so eine Sache. Politiker/innen verstehen das Netz nicht und die Netzbewohner verstehen die Politik nicht. Es handelt sich ja auch um zwei sehr unterschiedliche Systeme. Die Politik ist hierarchisiert, das Internet ist eher ein chaotischer Haufen. Politik und Willensbildung organisiert sich über Parteien und Delegierte, das Internet ist basisdemokratisch und gibt jedem eine Stimme. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten, Akteure auf beiden Seiten können nur dann erfolgreich sein, wenn sie die gesamte Gesellschaft oder zumindest große Teile durchdringen können. Dabei haben die Akteure des Internets den Charme des Innovativen auf ihrer Seite. Hier tummeln sich in den vorderen Reihen die Jungen (und auch die Mädchen) aber weniger die Älteren. Das Internet transportiert die Zukunft, deshalb wollten vor 10 Jahren alle eine Webseite und deshalb wollen heute alle ein „Profil“, wo auch immer. Netzpolitik ist Imagepflege, aber kein Titelthema. Netzpolitik wird weniger verstanden als die Gestaltung des Umbaus einer Gesellschaft durch den Einfluss eines Medium, als vielmehr Politik auch im Netz zu machen. Urheberrecht, Zugangserschwerungsgesetz, Vorratsdatenspeicherung, Netzneutralität und Jugendmedienschutzstaatsvertrag sind die Opfer dieses Missverständnisses.

„Wir wollen auch die jüngere Bevölkerung erreichen“, deshalb breitet sich der Wahlkampf auch im Internet aus. Politiker/innen bewegen sich damit auf ein Terrain, auf dem sie sich zwar nicht zu Hause fühlen, aber was Lieschen Müller auf Wer-kennt-wen kann, dass kann Müntefering auch auf Facebook. Die Untersuchungen sind zahlreich, das Internet wird maximal instrumentalisiert um eine Wahl zu gewinnen, das hat nichts mit der Beschäftigung mit dem Medium zu tun. Es geht um Machterhalt um jeden Preis, die Medien dabei auf seiner Seite zu wissen, ist ein beruhigendes Gefühl, dennoch passen die beiden Welten nicht zusammen. Die Anbiederung an die Netzbewohner trägt peinliche Blüten. Aber selbst wenn die entsprechenden Politker/innen eine ernsthafte Beschäftigung mit dem wichtigsten Medium unserer Zeit erwägen, steht die Inszenierung und nicht die Kommunikation im Vordergrund. Das Video oder besser der Wahlwerbespot der Familienministerin nach ihrem politcamp-Besuch macht deutlich, das es sich vor allem um eine Imagekampagne gehandelt hat.

Auf der anderen Seite versuchen die Netzbewohner jenseits von Parteien die parlamentarische Demokratie zu hacken. Grundsätzlich soll jeder in der Demokratie eine Stimme haben, in der BRD heißt das, sich an seinen Abgeordneten zu wenden, um den Willensbildungsprozess von unten mit zu befruchten. Verschiedene Aufschreie der Netzgemeinde haben gezeigt, dass sie eine bestimmte Politik verhindern kann, aber sie bleibt dabei reaktiv. Sie muss sich mit gemachten Entscheidungen auseinandersetzen und kann ihr massentaugliches Mobilisierungstalent nur in der Judikative ausleben (siehe Vorratsdatenspeicherung). Obwohl der Protest zum Zugangserschwerungsgesetz zeigt, dass es den Netzbewohner/innen auch gelingen kann Einfluss auf die Legislative zu nehmen, kann von einer Demokratie-Kompatibilität keine Rede sein.

Wenn Netzbewohner/innen und Politik enger zusammen rücken wollen, müssen entweder Netzpolitiker/innen in die traditionelle Politik (siehe Piratenpartei), Wahlkreise erkämpfen und parteiliche Sysiphos-Arbeit leisten oder Politiker/innen die Netzpolitiker/innen als ernstzunehmende Berater/innen in ihre Kreise miteinbeziehen. Sie nicht nur in Enquette-Komissionen als Beisitzer/innen zu akzeptieren, sondern sich bei gesetzgebenden Verfahren ihren technischen Verstand zu nutze machen um Mach- und Zumutbarkeiten einzuschätzen.